Eine Annäherung zum verantwortungsvollen Umgang mit problematischen Inhalten
In diesem Artikel wird dargestellt, welche Herausforderungen die zunehmende digitale Verfügbarkeit von kulturellen Objekten im Hinblick auf problematische Themen hat, beispielsweise die Darstellung von Gewalt, unreflektierten hegemonialen Bewertungen oder herabsetzenden Begriffen in den Metadaten. Es wird eine Übersicht über die verschiedenen Lösungsansätze von GLAM-Einrichtungen gegeben und die technischen Umsatzmöglichkeiten im Kulturpool.at angerissen.
- Einführung
- Diskussion: Was verstehen wir unter “problematische” und “sensible” Inhalte? Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung mit sich?
- Wie gehen GLAM-Institutionen mit “problematischen Inhalten” um?
- Praxisbeispiele in Österreich
- Praxisbeispiele international
- Möglichkeiten der technischen Umsetzung im Kulturpool
- Weiterführende Informationen
Einführung
Während der großflächigen Digitalisierung von Kulturgut kommt es dazu, dass Objekte für unterschiedliche Anspruchsgruppen problematisch erscheinen; seien es die Objekte selbst, die Formen der Darstellung oder die Beschreibungen. Der Umgang mit den Digitalisaten und ihrer öffentlichen Darstellung muss entsprechend sorgfältig überlegt werden. Je mehr Sammlungsobjekte über den Kulturpool zugänglich werden, desto öfter ergeben sich in der Abstimmung mit den Institutionen auch Fragestellungen hinsichtlich problematischer Objekte und ihrer Darstellung auf kulturpool.at.
Eine Umfrage beim Provider Forum 2024 ergab, dass jede dritte anwesende Person bereits mit problematischen Inhalten in ihrer Arbeit konfrontiert war und an Lösungen für die Darstellung von betroffenen Objekten arbeitet (n=27). Die Notwendigkeit einer Kontextualisierung wurde erkannt. Daraus ergibt sich ein Bedarf nach technischen Lösungen und Guidelines für den Umgang mit problematischen Inhalten. Im Folgenden setzen wir uns mit zentralen Fragen rund um dieses Thema auseinander, um eine Diskussionsgrundlage für die Erstellung von Guidelines zu bieten.
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Diskussion: Was verstehen wir unter “problematische” und “sensible” Inhalte? Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung mit sich?
In Anlehnung an das Salzburg Museum können problematische Objekte oder sensible Inhalte als digitalisierte „Museumsobjekte, die in erster Linie Produkte oder Zeugnisse einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit darstellen“ verstanden werden.
Dazu zählen unter anderem Inhalte, die stereotypisieren, herabwürdigen, einem eurozentrischen, kolonialen Blick entspringen oder mit entsprechenden Begriffen kategorisiert wurden. Ebenso gehören Inhalte, die sich gegen aktuelle oder ehemalige marginalisierte Gruppen richten, sowie Begriffe der nationalistischen oder nationalsozialistischen Propaganda zu problematischen Inhalten.
Im Zuge der Digitalisierung dieser Sammlungsobjekte gibt es mehrere Aspekte, die berücksichtigt werden sollten. Die konkrete Umsetzung ist Teil von laufenden Debatten, die sich in etwa auf vier Bereiche konzentrieren:
- Die Frage, wie ethische Richtlinien für die Digitalisierung und Präsentation problematischer Inhalte aussehen sollten.
- Diskussionen darüber, wie der Zugang zu digitalisierten problematischen Inhalten geregelt werden sollte.
- Die Debatte, wie digitalisierte problematische Inhalte altersgerecht für Bildungszwecke genutzt werden können, ohne zu verharmlosen, zu glorifizieren oder zu traumatisieren.
- Die Diskussion, wie neue Technologien wie KI und XR (Extended Reality, z. B. Augmented Reality) für eine angemessene Präsentation und Kontextualisierung problematischer Inhalte genutzt werden können.
Digitalisierung muss unter Berücksichtigung geltender rechtlicher Rahmenbedingungen erfolgen, insbesondere in Bezug auf das Strafrecht, auf das Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte. Weiterhin sind eine wissenschaftlich fundierte Einordnung des Objekts sowie die Abwägung unterschiedlicher Interessen empfehlenswert.
Durch historische und kulturelle Kontextualisierung können Missverständnisse vermieden werden. Eine Kontextualisierung ermöglicht zudem die kritische Auseinandersetzung mit dem Objekt und seiner Sammlungsgeschichte.
Die Entscheidung, ob und welche problematischen Inhalte digitalisiert werden sollen, erfordert eine sorgfältige ethische Abwägung. Dabei gilt es, zwischen mehreren Interessen abzuwägen: Einerseits soll Kulturerbe für Bildung und Forschung zugänglich gemacht werden, andererseits muss vor missbräuchlicher Verwendung geschützt werden. Institutionen sind ebenso angehalten, bewusst daran zu arbeiten, strukturelle Diskriminierung, etwa durch abwertende Begriffe in den Katalogen, zu vermeiden.
Dazu schreibt Ciraj Rassool, Professor für Geschichte an der University of the Western Cape (UWC), wo er auch das African Programme der Museum and Heritage Studies leitet:
There is pressure to hold on to historical records in order to preserve the history and use of notions such as tribe and race in museum labels... The desire to stop the perpetuation of administrative racism is met with the desire to document this history.
Die Dokumentation dieser Geschichte hängt eng mit dem Bedürfnis nach kollektiver Erinnerung zusammen. Infolgedessen könnte auch argumentiert werden, dass die Nicht-Veröffentlichung von digitalisierten Artefakten negative Folgen für eine Gesellschaft aufweist. Die möglichen Folgen für das kollektive Gedächtnis bringen Studierende in einem Podcast der Universität Paderborn (2022) im Zuge der Restitutionsdebatte am Beispiel des Humboldt Forum in Berlin wie folgt auf den Punkt:
Durch die Wegnahme eines Artefakts wird also nicht nur ein Gegenstand geraubt, sondern auch eine Möglichkeit für das Kollektiv, sich zu erinnern und die Situation gegebenenfalls zu verarbeiten. Es stellt sich die Frage, was passiert, wenn eine kollektive Erinnerung und die damit verbundene Verarbeitung nicht möglich ist. Die gesamte gemeinsame Geschichte der Kolonialzeit und die damit verbundenen Konsequenzen auf den heutigen Umgang im interkulturellen Austausch bleiben somit unzureichend reflektiert.
Kuratorinnen und Kuratoren sowie betroffene Institutionen befinden sich in ihrem Bemühen oftmals in einem Spannungsfeld zwischen der generellen Öffnung von Museen und der Einladung zur Partizipation einerseits und der Sorge um mögliche schwierige Präsentationsformen der Objekte, so Chiara Zuanni, Associate Professor für Digital Humanities an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie schreibt in einem Gastbeitrag für Der Standard (2021):
Oft ist es eine Gratwanderung, Kontroversen in der Öffentlichkeit zu bewältigen, aber gleichzeitig zur Diskussion anzuregen. Gleichzeitig sollte dabei noch der Auftrag der Museen aufrechterhalten werden und materielles und immaterielles Erbe zum Zwecke der Bildung, des Studiums und des Vergnügens bewahrt und vermittelt werden.
Margit Berner, Anthropologin und Kuratorin am Naturhistorischen Museum Wien, merkt zur Debatte an, dass es wichtig sei, bereits von Beginn an zu klären, warum ein Objekt digitalisiert werden sollte: Was ist die Aufgabe dieses Digitalisats? Welche (Langzeit-)Folgen könnten seine Digitalisierung für das Museum, aber auch für eine Gesellschaft mit sich bringen? Wem sollte der Zugang zu diesem Objekt ermöglicht werden? Bei der Beantwortung seien insbesondere auch kulturelle Unterschiede und Besonderheiten in den Überlegungen, wie Bilder auf Rezipient*innen wirken, einzubeziehen.
So müssten auch betroffene Communities oder die Interessen von Angehörigen oder Nachfahren an der Debatte teilhaben können. Bei sensiblen Objekten, wie etwa Fotos von Kriegsgefangenen oder Scans von menschlichen Überresten, sollte – falls die Digitalisierung überhaupt als sinnvoll erachtet wird – von der öffentlichen Darstellung von Bildern abgesehen und stattdessen lediglich die Objektdaten gezeigt werden. In manchen Fällen könnte auch eine stellvertretende Visualisierung (Zeichnung) oder ein Symbolbild nützlich sein.
Die laufenden Debatten über diese Fragen zeigen, dass die Digitalisierung problematischer Inhalte im Kulturerbe eine sorgfältige Abwägung zwischen Zugänglichkeit, Kontextualisierung und ethischen Überlegungen erfordert. Es bedarf weiterer Forschung und Diskussion, um Best Practices in diesem sensiblen Bereich zu entwickeln.
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Wie gehen GLAM-Institutionen mit “problematischen Inhalten” um?
Institutionen im GLAM-Bereich adressieren problematische Inhalte auf verschiedene Weisen. Das Salzburg Museum kontextualisiert problematische Begriffe in der Online-Datenbank (neben anderen Maßnahmen) durch ein Glossar, das ständig erweitert wird und bietet dazu Disclaimer sowie die Option, das Foto nicht anzuzeigen. Ein Glossar bieten auch die Landessammlungen Niederösterreich.
Image+ kennzeichnet rassistische Begriffe typografisch (durchgestrichen, tiefgestellt), um den historischen Kontext zu wahren und die Weiterverbreitung zu unterbinden. Das Technische Museum Wien nimmt eindeutig rassistische Abbildungen offline und versieht andere mit einem Sensibilitätshinweis. Das Wien Museum trennt Original- und Präsentationstitel, um verletzende Begriffe weniger präsent zu zeigen, und ergänzt Schlagworte.
International setzt das DE-BIAS Projekt der Europeana auf ein KI-gestütztes Tool und ein mehrsprachiges Vokabular zur Erkennung und Kontextualisierung problematischer Begriffe, wobei Kritikerinnen und Kritiker die technische Reife der KI anzweifeln. Die Deutsche Digitale Bibliothek bietet ein Suchportal für Digitalisate aus kolonialen Kontexten, verzichtet aber auf die Abbildung menschlicher Überreste aus ethischen Gründen. Das niederländische Nationalmuseum der Weltkulturen nutzt ein Glossar, das als Orientierungshilfe dient und laufend überarbeitet wird. Das Humboldt Forum blendet Darstellungen aus, die Menschen entwürdigend zeigen oder rassistische Inhalte reproduzieren würden. Das Deutsche Hygiene-Museum trennt in seiner Sammlung zwischen Objekttitel und historischem Titel und setzt zudem auf eine Beschlagwortung.
Im Folgenden gehen wir näher auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der jeweiligen Institutionen ein, wobei sowohl Institutionen innerhalb als auch außerhalb Österreichs betrachtet wurden.
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Praxisbeispiele in Österreich
Im folgenden Abschnitt werden Beispiele von österreichischen Institutionen und Projekten in alphabetischer Reihenfolge angeführt. Dabei handelt es sich um keine vollständige Auflistung. Gerne können Sie uns kontaktieren und wir nehmen Ihre Institution als Praxisbeispiel auf.
Filmarchiv Austria
Das Filmarchiv Austria kontextualisiert NS-Propagandafilme mit einem Disclaimer-Text, in dem auf die Suggestivkraft der Bilder hingewiesen wird. Dieser Text wird direkt im Video abgespielt.
Beispiel: Der Tag des großdeutschen Reiches - Kulturpool
image+ Platform for Open Art Education
„Um rassistische und diskriminierende Ausdrücke kenntlich zu machen, hebt die Bildungsplattform Image+ innerhalb der Bilddatenbank diese durch eine besondere typografische Methode hervor: Die Begriffe werden durchgestrichen und in kleinerer, tiefgestellter Schrift dargestellt. Diese Vorgehensweise bewahrt den historischen Kontext der Begriffe, ohne diesen zu entfernen oder zu verfälschen. Gleichzeitig soll diese Markierung der Weiterverbreitung rassistischer und diskriminierender Ausdrücke entgegenwirken und die damit verbundene fortwährende Schädigung klarstellen. Damit passt sich diese Praxis den gegenwärtigen Richtlinien und Anforderungen an und schafft ein standardisiertes wissenschaftliches Verfahren.
Zudem wurden im Nachhinein hinzugefügte, beschreibende Titel oder Bildunterschriften mit ergänzenden Beschreibungen, die nicht von der Urheber*in des Werks stammen, abgeändert oder kommentiert. Die originale Formulierung wird aus Gründen der historischen Dokumentation und Sorgfalt im ‚Notizen‘- Feld festgehalten, wobei, falls möglich, Angaben zu Urheber*in, Quelle und dem Jahr gemacht werden.“
Ergebnis: Anleitung für den reflektierten Umgang mit diskriminierenden und rassistischen Ausdrücken in Werktiteln — image+ (zuletzt eingesehen am 10.03.2025
Landessammlungen Niederösterreich
Die Online-Sammlung der Landessammlungen Niederösterreich verfügt bei ausgewählten Objekten über einen Disclaimer, in dem sich die Institution von „diskriminierenden oder abwertenden Inhalten” distanziert. Zudem bietet die Sammlung ein Glossar an, in dem Begriffe kontextualisiert werden. Diese Begriffe sind in den Objekttiteln mit dem Glossar verlinkt.
Beispiel:
Objekttitel: “Apostasie - Das 'Abendland' kommt aus dem 'Morgenland'”
Schlagwort: Abendland
Objekt in der Online-Sammlung (zuletzt eingesehen am 12.03.2025).
Disclaimer-Text: “Die Landessammlungen Niederösterreich distanzieren sich mit diesem Kommentar von jeglichem diskriminierenden oder abwertenden Inhalt in den Landessammlungen Online. Nur in begründeten Ausnahmefällen bei originalen (Werk)titeln, Inschriften oder alternativlosen Termini werden problematische Begriffe beibehalten, unter Anführungszeichen gesetzt und durch ein Glossar erklärt. Problematische Begriffe und Inhalte sind in der Onlinesammlung der Landessammlungen Niederösterreich ausschließlich zum Zweck der Forschung und Bildung einsehbar. Mehr zu den problematischen Begriffen: Glossar"
Salzburg Museum: Glossar, Disclaimer und Integrationen
Um den sensiblen Umgang mit problematischen Objekten in der Online-Datenbank zu gewährleisten, wurde 2020 am Salzburg Museum eine eigene Projektgruppe gegründet. Durch sie werden die entsprechenden Datensätze in der Museumsdatenbank erfasst und gesammelt, anschließend mit den Sammlungsleiter:innen auf die jeweilige Problematik hin überprüft und im Beschreibungstext individuell kontextualisiert. Gemeinsam wird entschieden, ob problematische Begriffe aufgrund geschichtswissenschaftlicher Notwendigkeit (z. B. Begriff ohne Alternativen, originaler Werktitel) beibehalten werden sollten. Nach gründlicher Prüfung werden alle entsprechenden Online-Datensätze sprachsensibel verfasst und kommentiert zur Verfügung gestellt. Beibehaltene problematische Begriffe werden mit einem Glossar verlinkt, welches eine weitere Kontextualisierung bereithält. Die Glossartexte werden ständig erweitert und erneuert. Dazu werden Disclaimer und die Option, das Foto nicht anzuzeigen, angeboten. Der Stand wird gegebenenfalls laufend aktualisiert. Die Ergebnisse werden in die Museumsarbeit, z.B. in Ausstellungen integriert.
6 Ziele und Chancen aus Sicht des Salzburg Museums im Sinne moderner, integrativer Museumsarbeit:
- Maximale Sichtbarmachung der Sammlung ohne Verzerrung des Blicks auf die Geschichte – auch des Rassismus und der Diskriminierung
- Durch sensible Kontextualisierung wird das Problembewusstsein um diese Geschichte, ihre Objekte und Worte sowie ihre Wirkungsmechanismen bis in die heutige Zeit vertieft.
Ergebnis: Salzburg Museum: Sammlung-Online (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
Technisches Museum Wien (TMW)
Derzeit ist der Umgang mit problematischen Objekten im Online-Katalog des TMW noch in Arbeit. Auf Nachfrage im Archivteam wurde folgende Regelung kommuniziert: „Wenn das Bild eindeutig rassistisch ist, nehmen wir die Abbildung offline und schreiben folgende Information im Feld ‘Zugangsbestimmungen’: 'Diese Archivalie enthält rassistisches Gedankengut und erfordert besondere Sensibilität und Rücksicht im Umgang. Der Inhalt entspricht nicht der Geisteshaltung des Technischen Museums Wien.’“ (Stand 28.02.2025)
Beispiele:
Objekttitel: Laubsägevorlagen für die Herstellung von Kinderspielzeugen
Signatur: BPA-009957
Objekt in der Online-Sammlung (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
Objekttitel: Die verschiedenen “Menschenrassen”
Signatur: BPA-018129-09
Objekt in der Online-Sammlung (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
Anmerkung: Dieses Objekt wird ohne Bild angezeigt. Die Beschlagwortung wird entsprechend kritisch angereichert: „Illustration der "verschiedenen Menschenracen nach Welttheilen zusammengestellt". Stark rassistische Abbildung verschiedener Stereotypen, wobei die "Germanen und Romanen" prominent in der Mitte abgebildet wurden. Tafel IX aus der Mappe ‚Geologie. Geschichte und physikal. Geographie in Bildern‘“
Objekttitel: Kautschuksorte Geringerer Qualität, in Schachtel
Inventar-Nr.: 85616
Objekt in der Online-Sammlung (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
Im Rahmen des dreijährigen Projekts „Koloniale Infrastrukturen“ arbeitet das Team des TMW aktuell mit der Firma Semantics an der Entwicklung eines Disclaimers für problematische Bilder sowie an der Implementierung eines Glossars in ihrer Forschungsplattform bzw. Webausstellung. „Da das Teilprojekt mit problematischen Begriffen und Disclaimer für heuer (2025) vorgesehen ist, sind wir noch in der Konzeptionsphase und können Ihnen derzeit leider keine näheren Inputs diesbezüglich liefern“, heißt es von Seiten des Museums.
Wien Museum
Hinter der Trennung von Präsentationstitel und Originaltitel eines Objekts steht die Idee, verletzende Begriffe nicht aus den Datenbanken oder Thesauren zu löschen, sie aber weniger präsent anzuzeigen. Objekte erhalten einen neutraleren, beschreibenden Titel, während der Objekttitel unter anderem kleiner unter dem Objekt angezeigt wird. So können Objektdaten wie etwa rassistische Abbildungen weiterhin für Forschende zugänglich gemacht werden, ohne herabwürdigende Begriffe sichtbar aufzugreifen und zu wiederholen
Diesem Ansatz folgend zeigt das Wien Museum manche Objekte, die im Einvernehmen mit den Kurator:innen als problematisch eingeordnet werden, mit beschreibenden Titeln an. In den Objektdaten ist der Originaltitel angeführt. Eine weitere Möglichkeit der Kontextualisierung ist die zusätzliche Beschlagwortung, etwa mit dem Begriff „Exotismus“. Kuratorinnen und Kuratoren können zusätzlich einen beschreibenden Text hinzufügen.
Im Fall des Wien Museums wird die Entscheidung, welche Kontextualisierung notwendig ist, von den zuständigen Kuratorinnen und Kuratoren getroffen. Eine Policy ist derzeit nicht vorgesehen, da der Umfang an problematischen Digitalisaten derzeit noch überschaubar sei, heißt es seitens des Museums. Eine allgemeine Regel betrifft jedoch den Umgang mit Objekten, die Hakenkreuze zeigen. Digitalisate mit diesen Erkennungszeichen können in der Online-Sammlung nicht heruntergeladen werden.
Beispiel:
Objekttitel: Stereotype Darstellung eines arabischen Buben (Beschreibender Titel)
Inv.-Nr.: 219122
Objekt in der Online-Sammlung (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
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Praxisbeispiele international
Im folgenden Abschnitt werden Beispiele von österreichischen Institutionen und Projekten in alphabetischer Reihenfolge angeführt. Dabei handelt es sich um keine vollständige Auflistung. Gerne können Sie uns kontaktieren und wir nehmen Ihre Institution als Praxisbeispiel auf.
Deutsche Digitale Bibliothek: Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten
Im November 2021 ging das Suchportal „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ online. „Das Angebot richtet sich vorrangig an Personen und Organisationen aus Herkunftsstaaten und -gesellschaften, Vertreter*innen diasporischer Gemeinschaften und Akteur*innen der Zivilgesellschaft. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihrem reichen materiellen Kulturerbe zu begegnen. Forschenden weltweit bietet das Portal die Möglichkeit, kolonialzeitliche Erwerbungskontexte nachzuvollziehen“, heißt es auf der Webseite. Dabei werden allerdings aus ethischen Gründen keine Abbildungen von menschlichen Überresten gezeigt. Als Grund dafür gibt die DDB an, dass eine erneute Veröffentlichung die Betroffenen objektiviere bzw. entmenschliche.
Für die Objektsuche wird darauf hingewiesen, dass in den Filtern nur Werte angezeigt werden, die mit einem kontrollierten Vokabular verknüpft sind, um eine eindeutige Identifikation zu ermöglichen. In den FAQ heißt es:
Da nicht alle Informationen zu den Sammlungsgegenständen mit kontrollierten Vokabularen verknüpft sind oder die Angaben in den Datensätzen ganz fehlen, können im Portal mehr Sammlungsgegenstände zu finden sein, als in den Suchfiltern angezeigt werden. Über den Suchschlitz können Sie nach allen Begriffen suchen, so dass es hier in der Regel mehr Treffer gibt als in den Suchfiltern.
Folgende Vokabulare werden für die unterschiedlichen Filter ausgewertet:
- "Herkunftsgesellschaft" und "Objekttyp" Gemeinsame Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek, Wikidata, Art and Architecture Thesaurus (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
- "Personen/Organisationen" und "Aktueller Standort": Gemeinsame Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
- "Orte": Wikidata, GeoNames, Thesaurus of Geographic Names, Gemeinsame Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
Deutsches Hygiene-Museum, Dresden
2018 machte das Deutsche Hygiene-Museum Schlagzeilen mit einer Sonderausstellung zum Thema “Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen”. Die 1912 gegründete Institution wurde mit ihrer frühen Auseinandersetzung mit Eugenik als Plattform für nationalsozialistische Propaganda genutzt und setzt sich aufgrund seiner belasteten Vergangenheit intensiv mit dem rassistischen Erbe des Museums auseinander.
(Vgl.: Täter*inenspuren – Dresden, Deutsches Hygiene-Museum: Rassistische Propaganda, Station 1 der Tour Mahngang 2025 Rassismus per Gesetz, zuletzt eingesehen, am 12.03.2025.)
In einem Interview mit Amnesty International erklärt Kuratorin und Projektleiterin Susanne Wernsing den Zugang, wie in der Ausstellung mit rassischen Objekten umgegangen wurde:
’Das, was ich bestreite, die Existenz von menschlichen Rassen, muss ich ständig zeigen' – weil die historischen Plakate, Bücher, Broschüren genau das behaupten. ‘Wir arbeiten mit Exponaten, die geschaffen wurden, die Idee menschlicher 'Rassen’ in die Köpfe der Menschen zu bringen. Die Kunst, die uns gelingen muss, ist, die Objekte so zu präsentieren, dass ihre Gemachtheit deutlich wird.’ Deshalb werden zum Beispiel die rassistischen Plakate der dreißiger Jahre auf Arbeitstischen gezeigt, als Untersuchungsgegenstand markiert. An den Wänden hängen hingegen Werke der klassischen Moderne, die damals als ‘entartet’ diffamiert wurden.
Was in der musealen Präsentation und Vermittlung möglich ist, stellt digitale Sammlungen allerdings vor die Herausforderung, dass eine derartige Kontextualisierung (bisher) lediglich textbasiert geschieht. Zudem ist dieser Kontext zumeist erst in der Detailanzeige der einzelnen Objekte ersichtlich, in der Übersicht von Suchresultaten ist etwa ein Bild nicht als problematischer Inhalt ersichtlich. In seiner Online-Sammlung setzt das Deutsche Hygiene-Museum seinen Anspruch mit der Trennung von "Objekttitel" und "Historischem Titel" sowie in Form einer kontextualisierenden Beschlagwortung um.
Beispiel:
Objekttitel: Figur, Afrikanerin
Historischer Titel: “Schuli-Negerin”
Schlagworte: Rassismus, Kolonialismus
Objekt in der Online-Sammlung, zuletzt eingesehen am 12.03.2025
Europeana: DE-BIAS Projekt
Das Projekt DE-BIAS, das vom Programm Digitales Europa der Europäischen Union kofinanziert wird, zielt darauf ab, einen integrativeren und respektvolleren Ansatz zur Beschreibung von digitalen Sammlungen des kulturellen Erbes zu fördern und in Kooperation mit marginalisierten Communities mehr Partizipation und Inklusion zu fördern. Im Fokus stehen die drei Hauptthemen: Migration und Kolonialgeschichte, Geschlecht und sexuelle Identität sowie ethnische und ethnisch-religiöse Identität.
Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projekts zählen:
Entwicklung eines KI-gestützten Tools: DE-BIAS hat ein Tool entwickelt, das automatisch problematische Begriffe in Metadaten zum kulturellen Erbe erkennt und kontextbezogene Informationen über deren Hintergrund liefert.
Erstellung eines mehrsprachigen Vokabulars: Im Rahmen des Projekts wurde ein Vokabular entwickelt, das 700 Wörter in fünf Sprachen umfasst und anstößige Begriffe mit Kontextinformationen und Vorschlägen für geeignete Begriffe kombiniert.
Capacity-Building: Im Rahmen des Projekts wurden Ressourcen und Materialien entwickelt, die Fachleute aus dem Bereich des kulturellen Erbes dabei unterstützen, Vorurteile in ihren Sammlungen zu verstehen, zu analysieren und zu bekämpfen.
Das DE-BIAS-Tool wird in die Europeana-Website integriert und für die Nutzung durch einzelne Kulturerbe-Institutionen zur Verfügung gestellt. Durch die Online-Wissensdatenbank und die Kurse zur Schulung von Ausbilder:innen soll DE-BIAS die langfristige Übernahme seiner Ergebnisse durch den Kulturerbe-Sektor gewährleisten, heißt es auf der Webseite.
Kritikpunkte und offene Fragen:
Während die automatisierte Prüfung von Daten Vorteile bzw. Erleichterung bringe, bezweifeln Kritiker:innen des Projekts die technische Reife der KI für diesen Anwendungsfall. Auch sei die Mehrsprachigkeit nach wie vor ein Grund für Probleme. Fraglich ist zudem, ob eine automatisierte Beschreibung die wissenschaftlich fundierte Kontextualisierung seitens Kurator:innen ersetzen kann.
Das Projektteam gibt wiederum zu bedenken, dass das Tool auch strukturelle Schwachstellen im Kulturerbe-Sektor offenbart. So habe der Bottom-up-Ansatz gezeigt, dass oftmals die Beschreibungen der Objekte bereits von Personen verfasst werden, die zu wenig informiert oder voreingenommen sind. Mängel in der Repräsentation, aber auch sprachliche Mängel, führen in der Folge zu mangelhaften Datensätzen. Im Projektbericht wird ebenso darauf hingewiesen, dass Tools und Vokabulare allein nicht ausreichen:
Unfortunately this challenge cannot be taken up with a tool and vocabulary designed to merely detect bias and contentiousness based on occurrences of terms in existing metadata, but requires a more holistic rethinking of the approach to describing cultural heritage collections.
Nationalmuseum der Weltkulturen (NL): Glossar
Das Nationalmuseum der Weltkulturen veröffentlichte 2018 die Publikation "Words Matter" (Niederländische Version / englischsprachige Übersetzung), in der sich Expertinnen und Experten mit der Verwendung problematischer Begriffe auseinandersetzten. Ihren Ansatz erklären sie wie folgt:
Die Tatsache, dass Wörter und Sprachnormen einem ständigen Wandel unterliegen, kann bei denjenigen, die an diese Wörter gewöhnt sind, Verwirrung und Unbehagen hervorrufen; dies gilt auch für die Museen. Aber die Gesellschaft ändert sich, und die Sprache ändert sich mit ihr. Unsere Objekte mögen zeitlos sein, aber die Art und Weise, wie wir über sie sprechen, ist es nicht.
Die Herausgeberinnen und Herausgeber geben zu bedenken, dass es sich bei einer Begriffsliste wie dieser um einen kontinuierlichen Prozess handelt, der laufend überarbeitet und ergänzt werden müsse. Die vorliegende Publikation sei als Orientierungshilfe gedacht und enthält „eine Liste von Wörtern, eine Erklärung, warum ein bestimmtes Wort als sensibel oder umstritten gilt, sowie alternative Begriffe, die in unserer Museumspraxis verwendet werden können.“(Ebda)
Humboldt Forum, Berlin
Obwohl das Humboldt-Forum das Ziel verfolgt, sämtliche Exponate, die vor Ort zu besichtigen sind, auch in der Online-Sammlung verfügbar zu machen, werden bestimmte Fotografien davon ausgenommen. In ihren FAQ erklärt die Institution ihre Herangehensweise wie folgt:
Als Grundlage für die Präsentation einer Abbildung eines ausgestellten Objekts muss neben der Digitalisierung auch die rechtliche Freigabe erfolgt sein. Wir bemühen uns laufend um Aktualisierungen und die vollständige Wiedergabe aller objektrelevanten Angaben und Abbildungen. Sollte noch kein Bild zu sehen sein, lohnt sich ein erneuter digitaler Besuch zu einem späteren Zeitpunkt. Wir weisen darauf hin, dass bestimmte Fotografien bewusst nicht auf Sammlungen Online gezeigt werden. Zum einen betrifft dies Abbildungen, die Menschen in einer entwürdigenden und verletzenden Weise darstellen. Dies dient auch dazu, rassistische und anderweitig diskriminierende Inhalte, die auf diesen Fotografien zu sehen sind, nicht zu reproduzieren. Zum anderen kann Sammlungen Online Bilder enthalten, die zunächst nur unter Vorbehalt veröffentlicht werden.
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Möglichkeiten der technischen Umsetzung im Kulturpool
Der Kulturpool stellt gemäß seinem Auftrag aggregierte Daten für eine breite Öffentlichkeit zur Verfügung und hält dabei die Freiheiten der Kunst und Wissenschaften hoch. Das Suchportal folgt grundsätzlich dem Verständnis, dass Kontextualisierung ebenso wie Kuration der digitalisierten Sammlungen durch die Partnerinstitutionen zu erfolgen hat, beispielsweise durch eine Beschreibung in den Metadaten.
Die technische Umsetzung geschieht in Abstimmung mit der jeweiligen Institution. Generell empfiehlt sich ein Work-in-progress-Ansatz beim Umgang mit problematischen Inhalten auf Suchportalen sowie auf den Online-Sammlungen der Partnerinstitutionen. Beteiligte Akteurinnen und Akteure sollten laufend ihre Methoden in einem professionellen Rahmen zur Diskussion stellen und bei Evaluierungsschritten mit den betroffenen Communities zusammenarbeiten. Dabei ist es wichtig, die Begründungen, Definitionen und Herangehensweisen transparent und nachvollziehbar zu machen. In der externen Kommunikation muss klar unterschieden werden, wo die jeweilige Verantwortung liegt.
Suchportale wie Kulturpool kuratieren und kontextualisieren nicht, kümmern sich aber um die technische Umsetzung von Kennzeichnungen und Kontextualisierungen. Die Institutionen mit ihren Expertinnen und Experten sind für die inhaltliche Einordnung ihrer Objekte verantwortlich.
Für die technische Umsetzung werden aktuell mehrere Lösungen angeboten:
Disclaimer – Hinweisfeld
Dabei werden für die Objekte zusätzliche Objektbeschreibungen geschaffen, die Disclaimer-Texte zur Distanzierung, aber auch zur Einordnung umfassen. Diese Disclaimer werden in der Objektansicht angezeigt, sind allerdings nicht Teil der durchsuchbaren Metadaten. Idealerweise werden einzelne Datensätze mit Disclaimern versehen; alternativ ist es auch möglich, gesamte Sammlungen (Sets) mit dem gleichen Eintrag zu markieren.
Tipp: Fügen Sie den Kommentar in Ihren EDM-Daten in einem «dc:description»-Eintrag ein, beginnend mit "Disclaimer: " (inklusive Leerzeichen). Dieses Beschreibungsfeld kann beliebig oft angegeben werden. Sie können also mehrere Beschreibungen und mehrere Disclaimer gleichzeitig haben, auch in mehreren Sprachen (Angabe über xml:lang). Kulturpool filtert in der Folge den Disclaimer heraus und zeigt ihn an.
Triggerwarnung – Bilder/Vorschau unscharf darstellen
Entscheidet eine Institution darüber, dass sich ein Objekt nicht zur sofortigen Anzeige im Kulturpool eignet, ist es möglich, das Bild/Vorschaubild unscharf darzustellen. Um das Digitalisat anzuzeigen, muss die Benutzerin bzw. der Benutzer seine dezidierte Einwilligung geben; die Anzeige kann durch einen erklärenden Text ergänzt werden. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn das Objekt sensible Inhalte wie Gewalt, Tod oder diskriminierende Darstellungen zeigt und ein verantwortungsvoller, Kontext-sensibler Umgang damit angestrebt wird.
Tipp: Fügen Sie den Kommentar in Ihren EDM-Daten in einem «dc:description»-Eintrag ein, beginnend mit "Trigger Warning: " (inklusive Leerzeichen). Dieses Beschreibungsfeld kann beliebig oft angegeben werden. Sie können also mehrere Beschreibungen und mehrere Triggerwarnungen gleichzeitig haben, auch in mehreren Sprachen (Angabe über xml:lang). Kulturpool passt die Anzeige entsprechend an.
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Weiterführende Informationen
Es gibt viele weitere Glossare für sensible Sprache, die als Orientierungshilfen dienen können. Eine Auswahl finden Sie hier:
- Glossar für diskriminierungssensible Sprache bei Amnesty International
https://www.amnesty.de/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - Glossar des Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V.
https://www.idaev.de/recherchetools/glossar (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - NO TO RACISM – GLOSSAR FÜR EINE RASSISMUSSENSIBLE SPRACHE
https://www.notoracism.ch/glossar (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - Wörterbuch des Berliner Projektbüros für Diversitätsentwicklung, Diversity Arts Culture
https://diversity-arts-culture.berlin/diversity-arts-culture/woerterbuch (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - Translate Hate Glossary, American Jewish Committee
https://www.ajc.org/translatehateglossary?utm_campaign=report2023&utm_source=AJC.org&utm_medium=splash&utm_content=AntisemitismReport23TH (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - Disability Language Style Guide
https://ncdj.org/style-guide/ (zuletzt eingesehen am 10.03.2025) - Inclusive Terminology Glossary
https://culturalheritageterminology.co.uk/ (zuletzt eingesehen am 10.03.2025)
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